Heute (15. Mai) ist der digitale Aktionstag gegen Verschwörungsmythen und Antisemitismus der Amadeu-Antonio-Stiftung. Zu diesem Anlass finden zahlreiche Diskussionsrunden und Veranstaltungen im Netz statt, die vor allem dem Zusammenhang von Verschwörungsideologie und Antisemitismus thematisieren. Insbesondere im Zuge der Covid-19-Pandemie verbreieten sich unterschiedliche Verschwörungstheorien, die nicht selten auch eine antisemitische Komponente haben. Um einen kleinen Beitrag zu dem Aktionstag zu leisten, veröffentlichen wir an dieser Stelle einen Text, den wir für die Rubrik „Im Blickwinkel“ der ersten Ausgabe unseres Magazins „Dorstfeld in Bewegung“ verfasst haben. In dem Text erklären wir, was Antisemitismus bedeutet und welche Rolle er im Rechtsextremismus spielt. Wir wünschen eine spannende Lektüre!
Im Blickwinkel: Antisemitismus
Der Aussage, dass die Juden „zu viel Einfluss haben“ stimmen laut der Leipziger Autoritarismus-Studie ca. 10% der Deutschen zu. Dieser Wert zeigt, dass Antisemitismus nach wie vor ein großes Problem in Deutschland darstellt. Ausgehend von einer langen und mörderischen Geschichte der Judenfeindschaft haben sich unterschiedliche Vorurteile und Zuschreibungen gegenüber Jüdinnen und Juden in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Auch in den aktuellen Debatten ist Antisemitismus immer wieder ein Thema, denn es bleibt meistens nicht nur bei den Gedanken im Kopf: Zunehmende Angriffe gegen Juden und Jüdinnen sorgen dafür, dass jüdisches Leben hierzulande immer stärker bedroht wird. So wurden allein für das Jahr 2017 rund 1450 antisemitische Straftaten gezählt, die Dunkelziffer liegt ExpertInnen zufolge noch viel höher.
Was ist Antisemitismus?
Allgemein kann nach einer Definition der ‚International Holocaust Remebrance Alliance‘, der sich auch die Bundesregierung angeschlossen hat, Antisemitismus als „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann“, verstanden werden. In der Definition werden als Beispiele hierfür „dämonisierende oder stereotype Anschuldigungen gegen Juden“, das „Verantwortlichmachen der Juden als Volk für das (tatsächliche oder unterstellte) Fehlverhalten einzelner Juden“ oder der „Vorwurf gegenüber den Juden oder dem Staat Israel, den Holocaust übertrieben darzustellen oder erfunden zu haben“ genannt.
Doch Antisemitismus geht über eine bloße ‚Judenfeindschaft‘ hinaus und hat nichts mit der Ablehnung einer Religion zu tun. Es handelt es sich vielmehr um eine antimoderne Weltanschauung, die sich wesentlich aus einem Mythos spiest, nachdem Juden und Jüdinnen über viel Macht und Reichtum verfügen würden und sie daher für alles Übel in der Welt verantwortlich seien. Antisemitismus findet sich deswegen auch oft in Verschwörungstheorien wieder und Vorwürfe dieser Art haben teilweise eine jahrhundertelange Tradition. Wir leben in einer komplexen Welt, in der jeden Tag viele Ereignisse geschehen, die schwer einzuordnen und zu erklären sind. Das Geheimnisvolle, Erklärungen der Komplexität und der Widersprüchlichkeiten in der Welt und die gleichzeitige Identifizierung von Schuldigen – das alles bietet Antisemitismus und macht es so für viele Menschen attraktiv.
Daneben tritt der Antisemitismus auch im Kontext der Erinnerung an den Nationalsozialismus auf, als sogenannter Schuldabwehr-Antisemitismus. Hierbei werden beispielsweise die Verbrechen des Nationalsozialismus relativiert oder Juden und Jüdinnen vorgeworfen, einen Vorteil aus der Erinnerung hieran zu ziehen. Diese Form des Antisemitismus ist in Deutschland verbreitet: So stimmen laut der ‚Mitte-Studie‘ 2016 der Aussage „Viele Juden versuchen aus der Vergangenheit des Dritten Reiches ihren Vorteil zu ziehen“ rund 26% der Befragten zu. Daneben zeigt sich der Antisemitismus gegenwärtig oft auch in Bezug auf den Staat Israel, sodass hier in der Forschung von einem israelbezogenem Antisemitismus gesprochen wird. Dieser zeigt sich sowohl in Form von klassischen antijüdischen Ressentiments als auch oft als vermeintliche ‚Israel-Kritik‘, bei der dem Israel Vorwürfe angelastet werden, die an keinen anderen demokratischen Staat herangetragen werden. Insbesondere diese Erscheinungsform findet sich in vielen Teilen der Gesellschaft wieder und wird sowohl politisch als auch religiös legitimiert. Ein Blick in die ‚Mitte-Studie‘ zeigt auch hier eine hohe Verbreitung: 40,4% stimmen der Aussage „Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat“ zu – ein alarmierender Wert.
Antisemitismus ist also ein gesamtgesellschaftliches Problem, dass sich in vielen politischen und sozialen Milieus finden lässt und das demokratische Zusammenleben gefährdet.
Antisemitismus und Rechtsextremismus
Nichtsdestotrotz gehört offener Antisemitismus natürlich besonders bei radikalen Gruppen mit dazu – so auch bei Neonazis. Antisemitismus kann hier als wesentlicher Bestandteil rechtsextremer Ideologie begriffen werden. Auch die rechtsextreme Szene in Dortmund fällt immer wieder durch antisemitische Aktionen auf, für das Jahr 2018 lassen sich hierfür einige Beispiele finden:
So haben Dortmunder Neonazis unter dem Titel „Freiheit für Ursula“ einen ‚Solidaritätskampagne‘ für die überzeugte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck initiiert. Die 90-jährige sitzt derzeit wegen wiederholter Volksverhetzung in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld und fiel immer wieder durch antisemitische Äußerungen auf. Die Dortmunder Neonazis machen keinen Hehl aus ihrer Sympathie für Haverbeck und stellen sie sogar als Spitzenkandidatin für die Europawahl 2019 auf – was allerdings wohl eher einer PR-Strategie als einer politischen Entscheidung geschuldet sein dürfte.
Des Weiteren sorgte am 14. Mai eine Kundgebung anlässlich des 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels der Neonazis in der Dortmunder Innenstadt für Empörung. Neben antisemitischen Redebeiträgen, die sich nur knapp unter der Strafbarkeitsgrenze befanden, wurde ein Banner mit der Aufschrift „Der Staat Israel ist unser Unglück“ gezeigt. Diese Parole ist mehr als deutlich eine Anlehnung an den Satz „Die Juden sind unser Unglück“, der das Titelblatt der nationalsozialistischen Zeitschrift ‚Der Stürmer‘ zierte. In den Wochen danach kam es auch zu antisemitischen Übergriffen durch Neonazis, bei denen sie einen Dortmunder Juden bedrohten, antisemitisch beleidigten und versuchten, ihn körperlich anzugreifen. Auf der rechtsextremen Internetseite ‚DortmundEcho‘ finden sich zudem in den Kommentarspalten immer wieder antisemitische Verschwörungstheorien, die einen „geplanten Volksaustausch“ durch die ‚Eliten‘ (die hier mal mehr oder weniger offen als Chiffre für Jüdinnen und Juden dienen) fantasieren.
Auch in Dorstfeld zeigt sich das antisemitische Weltbild der Dortmunder Neonazis: So wird beispielsweise jedes Jahr die Gedenkveranstaltung zur Erinnerung der Opfer der Reichpogromnacht im November am Wilhelmplatz durch antisemitische Parolen und Banner gestört. Zum Gedenken am 8. November 2018 zündeten Neonazis mehrmals Knallkörper und zeigten sich mit Partyutensilien, vorgeblich aus dem Anlass des 90. Geburtstag von Ursula Haverbeck, die Botschaft, die auf diese Weise auch transportiert wurde ist: „Die Reichspogromnacht ist für uns ein Grund zum Feiern“.
Engagement gegen Antisemitismus
Doch den zehn alkoholisierten Neonazis standen an diesem Tag rund 500 Menschen gegenüber, die bei der Kundgebung den Opfern des Nationalsozialismus gedachten und gleichzeitig ein Zeichen gegen den aktuellen Antisemitismus setzen. Visuell verdeutlicht wurde dies auch durch zwei große Banner mit dem Slogan „Gemeinsam gegen Antisemitismus“, die von dem Projekt ‚Quartiersdemokraten‘ gestaltet wurden und vor Häusern platziert wurden, aus denen Neonazis in den vergangenen Jahren provoziert hatten. Bei der Gedenkstunde selbst thematisierten mehrere Redner, darunter der Rabbiner der jüdischen Gemeinde Dortmund, die Gefahr des Rechtsextremismus und des wachsenden Antisemitismus. So wurde deutlich, dass Antisemitismus nicht nur ein Teil der deutschen Geschichte ist, sondern uns auch heute noch vor eine große Herausforderung stellt. Abgerundet wurde das Programm durch viele engagierte SchülerInnen und Organisationen, die auf dem Wilhelmplatz ihr Engagement gegen Antisemitismus und für die Erinnerung ausstellten und damit zeigten, dass sie sich dieser Herausforderung annehmen und sich gegen den Antisemitismus stellen.
So ist das Thema ‚Antisemitismus‘ auch Teil der Arbeit des Projekts ‚Quartiersdemokraten‘. Wir haben im letzten Jahr nicht nur die Gedenkveranstaltung organisiert, sondern im Vorfeld auch einen Vortrag zur Geschichte und Aktualität des Antisemitismus veranstaltet, um auch die inhaltliche Auseinandersetzung zu fördern. Daneben haben wir uns mit vielen weiteren Akteuren aus Dortmund in einem Arbeitskreis zur Bekämpfung von Antisemitismus vernetzt. Auch 2019 werden wir an diese Arbeit anknüpfen und das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Antisemitismus unterstützen – denn es bleibt dringend notwendig.