Netzwerk zur Bekämpfung von Antisemitismus in Dortmund kritisiert den geplanten Auftritt von Daniele Ganser in den Westfallenhallen Dortmund.
Am 27. März 2023 möchte der Schweizer Historiker Dr. Daniele Ganser in der Westfalenhalle 2 in Dortmund auftreten. In dem angekündigten Vortrag verspricht er eine Antwort auf die Frage, „warum der Ukraine-Krieg ausgebrochen ist“.
Das Problem: Ganser, der sich selbst als „Friedensforscher“ ausgibt, gilt seit Jahren als Verschwörungsideologe. Bekanntheit erlangte er vor allem durch die Verbreitung von „alternativen Interpretationen“ zum islamistischen Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001. Mit vermeintlich kritischen Fragen verfolgt er das Ziel einer Umkehr von Tätern und Opfern, indem er nahelegt, der Anschlag sei von den USA selbst inszeniert worden. Anhänger*innen von entsprechenden Verschwörungsnarrativen werden auf diese Weise in ihrer Ansicht bekräftigt. Seit 2019 behauptet Ganser zudem offen, dass das World Trade Center 7 gesprengt worden sei – ein bekannter Mythos der kursierenden Verschwörungserzählungen rund um den 11. September. Grundlegend für Gansers Denken ist, dass hinter fast allen globalen Krisen und Konflikten die USA bzw. eine amerikanisch geführte Allianz zu verorten sei. So konstatiert der Amerikanist Michael Butter, der zu Verschwörungstheorien forscht: „Ganser behauptet, der Anschlag auf das Satiremagazin ‚Charlie Hebdo´ könnte eine false-flag–Operation westlicher Geheimdienste gewesen sein; er beschuldigt die USA, hinter dem Putsch in der Ukraine zu stecken; und er hat angedeutet, auch der versuchte Putsch in der Türkei könnte von der CIA initiiert worden sein.“[1] Diese Deutungen sind gefährlich, nicht nur weil sie offenkundig falsch sind, sondern auch, weil sie Feindbilder schaffen und Ressentiments aktivieren.
Auch in der Corona-Pandemie trat Ganser mit problematischen Aussagen in Erscheinung. In dem Film „Pandamned“ des niederländischen Filmemachers Marijn Poels aus dem Jahr 2022 vergleicht Ganser die von ihm wahrgenommene Trennung von geimpften und ungeimpften Personen mit der Verfolgung von Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus. So behauptet er wörtlich: „Im Dritten Reich Juden und Nazis, da haben die Nazis gesagt, die Juden, das sind Tiere und haben sie vergast. (…) Das heißt, es gab immer lokal in einzelnen Ländern gab es (sic) Wahnsinn, ist ja Wahnsinn. Aber jetzt ist weltweit Wahnsinn. Also das ist neu, dass eigentlich jetzt in der ganzen Welt diese Spaltung zwischen geimpft und ungeimpft ist und dass die zwei Gruppen wie zwei Armeen gegeneinander ziehen.“[2]
Aussagen wie diese sind eindeutig als antisemitisch und geschichtsrevisionistisch einzustufen, da sie die Shoah relativieren und den mörderischen Antisemitismus des Nationalsozialismus als eine vermeintliche „Spaltung“ in der Bevölkerung verharmlosen. Der Film selbst verfolgt die bekannte Verschwörungserzählung, dass eine kleine Gruppe von mächtigen Menschen Krisen wie z.B. die Corona-Pandemie initiieren, um ihre Ziele umzusetzen. Dies ist nicht nur die gängige Struktur von Verschwörungserzählungen, sondern auch strukturell anschlussfähig für antisemitische Weltbilder, in denen Jüdinnen und Juden als machtvolle und kontrollierende Elite erscheinen.
Dass Ganser solchen Deutungen scheinbar auch selbst anhängt, verdeutlicht seine Unterzeichnung des „Neuen Krefelder Appells“, einem verschwörungsideologischen Dokument aus dem Jahr 2021.[3] In diesem wird u.a. behauptet, dass die „Machthaber“ und „Superreichen“ dieser Welt eine Strategie des „Great Reset” verfolgen. Die Verschwörungserzählung des „Great Reset“ (zu Deutsch: „großer Neustart“) postuliert, dass die genannten Personenkreise planen, die Menschheit zu reduzieren, um so eine „neue Weltordnung“ zu realisieren. Gesellschaftliche Krisen wie die Corona-Pandemie sollen hierfür ein Vehikel darstellen. Auch diese Erzählung wird immer wieder antisemitisch aufgeladen, indem behauptet wird, dass Jüdinnen und Juden diesen „Reset“ herbeiführen würden. Mit der Unterzeichnung des Dokuments gibt sich Ganser als offener Befürworter solcher Mythen zu erkennen.
Des Weiteren hat Daniele Ganser offenbar auch keine Berührungsängste zum rechtsextremen Milieu: So führte er 2018 ein Gespräch mit dem Neonazi Karl-Heinz Hoffmann, dem Anführer der Anfang der 1980er Jahr verbotenen rechtsterroristischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ (WSG). Mitglieder der WSG waren für das Attentat auf das Münchener Oktoberfest sowie den antisemitisch motivierten Mord an dem Rabbiner Shlomo Lewin und seiner Frau Frida Poeschke in Erlangen im Jahr 1980 verantwortlich. Moderiert wurde das Gespräch von Jürgen Elsässer, Herausgeber der Zeitschrift „Compact“, welches der Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft.[4]
Die angeführten Erkenntnisse zeigen, dass es sich bei Daniele Ganser keineswegs um einen harmlosen Redner handelt. Auch wenn er selbst nie mit offenen antisemitischen Aussagen in Erscheinung getreten ist, unterstützt und verbreitet er Theorien, die eine Nähe zu antisemitischen Verschwörungserzählungen aufweisen und bei Personen, die hierfür empfänglich sind, auf fruchtbaren Boden fallen.
Dass Daniel Ganser als Wissenschaftler angekündigt wird, verleiht ihm einem vermeintlich seriösen Anspruch. Er selbst gründete in diesem Sinne das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER), welches, anders als der Name suggeriert, keine wissenschaftliche Einrichtung ist, sondern nur dazu dient, seine Vorträge und Bücher zu vermarkten. Denn seine Thesen lässt sich Ganser gut entlohnen: Rund 30 Euro sollen Besucher*innen seines Vortrags in der Westfallenhalle für den Eintritt bezahlen.
Was dort zu erwarten ist, dürfte klar sein: Ganser wird die USA und die NATO für den russischen Angriffskrieg verantwortlich machen sowie weitere Verschwörungserzählungen vor einem größeren Publikum ausbreiten. Seine Nähe zu antisemitischen Verschwörungserzählungen sowie rechtsextremen Akteur*innen macht den Vortag umso problematischer. Auftritte von Ganser in renommierten Veranstaltungsorten wie der Westfalenhalle verleihen seiner verschwörungsideologischen Propaganda den Anstrich, Bestandteil des intellektuellen gesellschaftlichen Diskurses zu sein und tragen zu ihrer Normalisierung bei. Es ist aus diesen Gründen nicht akzeptabel, dass ein „Star“ der verschwörungsideologischen Szene in einer großen Veranstaltungshalle auftritt, deren alleinige Gesellschafterin zudem die Stadt Dortmund ist.
Das Netzwerk zur Bekämpfung von Antisemitismus in Dortmund kritisiert entschieden den geplanten Auftritt von Daniele Ganser in Dortmund und fordert die Verantwortlichen auf, die Bekämpfung von Antisemitismus und Verschwörungsideologien ernst zu nehmen und hieraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen!
Das Netzwerk zur Bekämpfung von Antisemitismus ist ein Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen und städtischen Institutionen, der sich 2018 gegründet hat. Ziel des Netzwerks ist es seither, gegen Antisemitismus in Dortmund vorzugehen und durch Prävention und Intervention wirksam zu bekämpfen. Das Projekt Quartiersdemokraten ist langjähriges Mitglied im Netzwerk zur Bekämpfung von Antisemitismus.
[1] Butter, Michael (2019): Die Methode Ganser, online unter: https://www.republik.ch/2019/04/13/die-methode-ganser
[2] Rohrmeier, Sophie (2022): Dieses Verschwörungs-Video enthüllt nichts. Faktenfuchs des Bayrischen Rundfunks, online unter: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/faktenfuchs-dieses-verschwoerungs-video-enthuellt-nichts,T6pbH6C
[3] O.V. (2021): Den Kriegstreibern in den Arm fallen. Neuer Krefelder Apell, online unter: https://peaceappeal21.de/
[4] Götschenberg, Michael (2021): „Gesichert extremistisch“, online unter: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/compact-magazin-101.html
Die komplette Stellungnahme des Netzwerks zur Bekämpfung von Antisemitismus zum Download: