Der gewaltsame Tod von George Floyd durch einen Polizisten sorgt derzeit in den USA für massive Proteste, die sich vor allem gegen den weit verbreiteten und fortwährenden Rassismus richten. Auch hierzulande solidarisieren sich viele mit den amerikanischen Demonstrant*innen und über das Thema Rassismus wird nun wieder viel debattiert. An vielen Stellen wird dabei zu Recht darauf hingewiesen, dass Rassismus keinesweges ein „neues“ Problem ist oder nun „wieder da“ sei. Denn das Gegenteil ist der Fall: Rassismus ist ein wesentlicher Bestandtteil unserer Gesellschaft und sorgt für Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalttaten. In unserem Magazin „Dorstfeld in Bewegung“ setzten wir uns in der Rubrik „Im Blickwinkel“ mit verschiedenen menschenfeindlichen Ideologien auseinander. Nachdem wir bereits vor kurzem einen Text zum Thema Antisemitismus aus der ersten Ausgabe des Magazins veröffentlicht haben, stellen wir nun anlässlich der aktuellen Situation einen Text aus der zweiten Ausgabe online, in dem wir Rassismus in den „Blickwinkel“ genommen haben.
In dem Text beschreiben wir, was mit Rassismus gemeint ist, welche Rolle er im Rechtsextremismus spielt und warum er gleichzeitig aber auch ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Wir wünschen eine erkenntnisreiche Lektüre.
Im Blickwinkel: Rassismus
Rassismus ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig und spiegelt sich sowohl in diskriminierenden und ausgrenzenden Handlungen als auch in rassistischen Witzen und Sprüchen im Alltag wider und reicht bis zu gewalttätigen Angriffen. Zudem ist er weit verbreitet: So gehen laut der „Mitte-Studie“ aus dem Jahr 2019 ca. 10% der deutschen Bevölkerung davon aus, dass „die Weißen zu Recht führend in der Welt“ seien. Der Aussage, dass „zu viele Ausländer in Deutschland leben“ stimmen sogar 35% zu.[1] Auch wenn die Zustimmung zu beiden Aussagen eine Abwertung von Menschen zugrunde liegt, so zeigt sich doch, dass Rassismus in unterschiedlicher Weise auftreten kann: Während es zum einen um den mit der Hautfarbe verbundenen Wert eines Menschen geht, bezieht sich die andere Aussage auf Migration nach Deutschland. Zudem ist Rassismus kein einfach zu greifender Begriff, was auch dazu führt, dass teilweise umstritten ist, was genau als Rassismus zu bezeichnen ist.
Was ist Rassismus?
Grundsätzlich werden dabei Menschen willkürlich Gruppen zugeordnet, die über Hautfarbe, Sprache oder Herkunft definiert werden und danach bewertet werden. Das bedeutet, dass Menschen aufgrund dieser Merkmale bestimmte, meistens negative, Eigenschaften zugeschrieben werden. Auf diese Weise werden soziale und kulturelle Unterschiede als vermeintlich natürlich und damit unveränderlich gedeutet. Rassismus ermöglicht es somit, gesellschaftliche Probleme auf Faktoren wie Nationalität oder Hautfarbe zurückzuführen. Daher geht mit Rassismus auch immer Diskriminierung einher, die dazu führt, dass Menschen Ausgrenzung, Stigmatisierung und Nachteile erfahren. So konstatiert die Psychologin Birgit Rommelspacher, dass es sich beim Rassismus „nicht einfach um individuelle Vorurteile handelt, sondern um die Legitimation von gesellschaftlichen Hierarchien, die auf der Diskriminierung der so konstruierten Gruppen basieren.“[2] Rassismus tritt häufig im Verbund mit nationalistischen Einstellungen auf, die von einer natürlich gewachsenen nationalen Identität ausgehen und Menschen anderer Nationalität abspricht, Teil der eigenen Gruppe zu sein. Rassismus lebt daher von einer Einteilung in „Wir“ und die „Anderen“, die zugleich auch psychologische Funktionen der Abgrenzung erfüllt.
Wir alle kennen rassistische Vorurteile. Das dies so ist, liegt an der jahrhundertelangen Geschichte des Rassismus, die dafür gesorgt hat, dass wir mit diesen Vorurteilen aufwachsen und sie zum Teil verinnerlichen. Seinen historischen Ursprung hat Rassismus als Form einer Legitimationsideologie. Im Zuge des Kolonialismus musste die Unterdrückung und Ausbeutung begründet werden und dies wurde mit der Konstruktion von höher- und minderwertigen „Menschenrassen“ getan – auch im Nationalsozialismus fand dieses Menschenbild seine schreckliche Entsprechung. Mittlerweile ist wissenschaftlich widerlegt, dass Menschen in „Rassen“ eingeteilt werden könnten. Dennoch hat sich die Idee, dass Menschen aufgrund von Herkunft oder körperlichen Merkmalen bestimmte Eigenschaften aufweisen, festgesetzt. Noch immer wird durch Rassismus der Ausschluss von Menschen gerechtfertigt. Rassismus ist demnach kein Relikt der Geschichte, sondern hat sich modernisiert und ist bis heute aktuell.
Rassismus von rechts
Im Rechtsextremismus hat sich die Vorstellung, Menschen könnten verschiedenen Rassen zugeordnet werden, am deutlichsten gehalten. Neonazis beziehen sich nach wie vor auf nationalsozialistische Rassetheorien und streben nach außen abgegrenzten Nationen mit ethnisch homogener Bevölkerung an. Für sie gilt eine vermeintlich natürliche Hierarchie zwischen unterschiedlichen „Völkern“. Nicht umsonst lautet eine populäre rechtsextreme Parole „Alles für Volk, Rasse und Nation“, die auch von Dortmunder Neonazis regelmäßig auf Demonstrationen skandiert wird. Ebenso fiel der Dortmunder Kreisverband der Partei ‚Die Rechte‘ in der Vergangenheit durch massive flüchtlingsfeindliche Propaganda auf, die von Fackelaufmärschen vor einer Unterkunft für Geflüchtete in Eving bis hin zu Aufrufen, Kirchengemeinden zu melden, die Geflüchteten Kirchenasyl gewähren, reichte. Diese Ideologie schlägt nicht selten in Gewalt um. Allein im ersten Halbjahr 2019 wurden von den Behörden mehr als 600 Angriffe auf Geflüchtete in Deutschland registriert, die fast alle von TäterInnen aus der rechtsextremen Szene verübt wurden. Opferberatungsstellen zufolge ist in Nordrhein-Westfalen Rassismus das häufigste Tatmotiv bei rechtsextremer Gewalt. Neben diesen Angriffen wird auch vor Morden nicht zurückgeschreckt: Die Taten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ sind hierfür ein trauriges Beispiel der jüngeren Zeit.
Doch es wäre nicht ausreichend, Rassismus nur als Teil des Rechtsextremismus zu fassen. Denn RassismusforscherInnen weisen immer wieder darauf hin, dass Rassismus die Gesellschaft strukturiert und sich diese Verhältnisse im Rechtsextremismus nur brutal zuspitzen. So ist beispielsweise eine rassistisch geprägte Verknüpfung von sozialen Problemen mit Migration längst kein auf die extreme Rechte beschränkbares Phänomen, wie auch die eingangs zitierte Studie verdeutlicht.
Rassismus im Alltag
Wie subtil sich Rassismus äußern kann, zeigt ein aktuelles Beispiel aus der Dortmunder Nordstadt: Hier wurde im Auftrag von sozialen Einrichtungen des Stadtteils ein Graffiti gemalt, welches das Leben in der Nordstadt darstellen sollten. Das Motiv zeigte einen Gorilla neben dem Schriftzug „Welcome to the Jungle“ – und sorgte damit für Diskussionen. Denn das Bild als Symbol für die migrantisch geprägte Nordstadt wurde von Vielen als unpassend empfunden. So stufte beispielsweise die Dortmunder Politikwissenschaftlerin Deniz Greschner die Darstellung als rassistisch ein. Sie argumentierte in einer Kolumne in den Ruhr Nachrichten, dass das Graffiti das mit dem Kolonialismus entstandene Bild reproduziert, in dem schwarze Menschen als Affen und damit als „wild“ und „unmenschlich“ gezeichnet werden. Auch die Darstellung der Nordstadt als „Dschungel“ und damit als „undurchdringlich“ und „gefährlich“ ist Greschner zufolge diskriminierend – denn schließlich wird der Stadtteil häufig mit solchen Stereotypen stigmatisiert. Ihr Text stieß in Sozialen Netzwerken aber nicht nur auf Zustimmung, sondern auch auf Unverständnis – so ein Graffiti sei noch längst kein Rassismus, lautete der Tenor. Die KünstlerInnen, die das Bild gemalt hatten, reagierten jedoch reflektiert auf den Rassismusvorwurf. In einer Stellungnahme schrieben sie, dass sie nicht bedacht hätten, dass das Bild rassistisch interpretiert werden könnte und zeigten sich interessiert daran, „über die angestoßenen Dialoge dazu zu lernen“.
Die Diskussion ist somit ein gutes Beispiel für sogenannten „Alltagsrassismus“: Rassistische Darstellungen haben sich über eine lange Zeit hinweg verfestigt, sodass sie häufig als „normal“ erscheinen und damit nicht hinterfragt werden, was dazu führt, dass sie alltäglich werden. Hinweise auf rassistische Äußerungen stoßen daher oft auf Widerstand. Alltagsrassismus äußert sich zum Beispiel dann, wenn Personen – auch gut gemeint – auf ihre Herkunft reduziert werden, wenn Kontrollen einzig allein schwarze Menschen betreffen, Menschen aufgrund eines „ausländischen“ Namens auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden oder diskriminierende Sprache genutzt wird. Doch die Sensibilität hierfür fehlt an vielen Stellen, insbesondere dann, wenn man selbst nicht von Rassismus betroffen ist. „Das war ja nicht rassistisch gemeint“, ist dann häufig zu hören, eine Formulierung, die darauf verweist, dass Rassismus auch unbewusst auftreten kann. Zudem herrscht auch Unkenntnis darüber, was Rassismus bedeutet, was daran liegt, dass er nur in seiner offenen und aggressiven Variante wahrgenommen wird oder das Wissen um die Geschichte, Erscheinungsformen oder Auswirkungen des Rassismus fehlt.
Rassismus bekämpfen – ein langer Weg
Kritisches Engagement gegen Rechtsextremismus bedeutet daher, Rassismus nicht mit Neonazis gleichzusetzen, sondern als gesamtgesellschaftliches Problem zu begreifen, das für alltägliche Abwertung und Ausgrenzung sorgt. Dazu gehört es auch, sich mit möglichen eigenen rassistischen Vorurteilen auseinanderzusetzen, die sich im Laufe eines Lebens festgesetzt haben können. Dafür ist auch ein Blick auf Perspektiven von Menschen, die von Rassismus direkt betroffen sind, notwendig – sie wissen meistens besser, welche Auswirkungen Rassismus hat. Dazu gehört auch die Solidarität mit den Betroffenen rassistischer Diskriminierung. Rassismus ist zudem immer mit Macht verbunden: Es sind in der Regel marginalisierte Gruppen, die nur wenig Macht und Privilegien in der Gesellschaft besitzen, welche Rassismus erfahren – während Rassismus selbst zumeist von der mächtigeren Gruppe ausgeht. Einfach gesprochen: Wer in Deutschland mit einem deutschen Pass und weißer Hautfarbe auf die Welt kommt, wird in der Regel nicht von rassistischer Ausgrenzung betroffen sein. Es gilt daher, sich auch der eigenen gesellschaftlichen Position bewusst zu werden. Erst wenn also der Blick für die Ursachen und das Ausmaß des Rassismus geschärft ist, kann eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Problem beginnen. Im Ergebnis bedeutet dies, Rassismus dort entgegenzutreten, wo er sich Bahn bricht, nicht nur bei Neonazis, sondern auch in der Familie, im Alltag, in den Medien und der Gesellschaft.
[1] Zick, A., Berghan, W., Mokros N. (2019): Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland 2002-2018/19. In: Andreas Zick, Beate Küpper und Wilhem Berghan (Hrsg.), Verlorene Mitte, feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 70-71
[2] Rommelspacher, B. (2009): Was ist eigentlich Rassismus? In: Paul Mecheril und Claus Melter (Hrsg.), Rassismuskritik. Rassismustheorie- und forschung. Schwalbach: Wochenschau Verlag, S. 29